Erfolgsgeheimnis Ost: Die Warenrevolution ab 1989 – und die Marken-Rückbesinnung danach.

Ikone Ost: Vita Cola Original.

Am 9. November 1989 fiel die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten. Mit der Öffnung flutete die westliche Warenwelt in den zuvor abgeriegelten Ostteil des Landes. Es kam dort zu einem begeisterten Spontankauf der jahrelang ersehnten Markenprodukte „von drüben“ – mit 100 DM „Begrüßungsgeld“ als monetäre Grundlage. Mit Ende der erzwungenen Konsum-Abstinenz und des stetigen Mangeldiskurses entlud sich zunächst einmal ein heftiger Konsumstau, und Westerzeugnisse waren für einige Monate das nicht hinterfragte Nonplusultra in allen fünf neuen Bundesländern. Eine etwaige Rückkehr der Ostmarken erschien vor diesem Hintergrund und zu diesem Zeitpunkt völlig illusorisch. 

1. phase: Bunte westwaren erobern das ostregal

Sämtliche leergefegten Ostregale füllten sich mit bunten Westwaren, Knorr verdrängte Suppina, der handliche Braun-Rasierer den klobigen Bebo-Sher, Lego die Formo-Steine, und kaum ein Mensch wollte mehr Vita oder Club Cola trinken, schließlich war Coca-Cola nach Jahren des Wartens urplötzlich ein an jedem Kiosk erreichbares Statussymbol geworden (geleerte Coca-Cola-Flaschen standen sonst jahrelang als Trophäen in der Schrankwand). Das Interesse an den eigenen Marken und ihren Produkten tendierte aus nachvollziehbaren Gründen gegen null: Über Jahre wurden sie nur als Surrogate attraktiver und schwer erreichbarer West-Originale gesehen. Ein Vertrauen in irgendeine Warenleistung Ost existierte nicht mehr, der Westen überstrahlte mit seinem Marken-Schein in den ersten Wendemonaten alles, und die eigenen Entbehrungen überwogen bei vielen der 16 Millionen Neu-Bundesbürger eine kritische Hinterfragung der sich gerade erst erschließenden bunten Konsumwelt, die jetzt über den zerstörten „antifaschistischen Schutzwall“ gen Osten rollte.

Die westlichen Global Player, allen voran die großen Lebensmittelkonzerne wie Nestlé, Procter & Gamble oder Coca-Cola „überschütteten“ den neuen Markt mit ihren (zu Beginn subventionierten) Produkten, um sich eine möglichst vorteilhafte Ausgangsposition im neuen Markt zu sichern. Sie verdrängten die Ostprodukte nahezu vollständig. Hier wurde bulldozerartig ganze Arbeit geleistet: Die Auswahlmöglichkeiten der ostdeutschen Verbraucher waren quasi über Nacht revolutioniert.

2. Phase: der osten kehrt zurück ins regal

Doch die konsumatorische West-Phase nahm überraschend schnell ein Ende und die Rückkehr der Ostmarken erfolgte. Wissenschaftler sprechen von einem Zeitraum von einem bis drei Jahren (abhängig von unterschiedlichen Produktgruppen). Dies erscheint deutlich unvermittelter, als die meisten Manager ahnten: Nach dem vorherrschenden Marketingcredo lassen sich Kaufpräferenzen von Menschen durch die geeigneten Marketing-Tools beliebig steuern. Unter dem massiven Werbedruck solventer Westmarken hätten sich demnach alle diese Anbieter im Osten beständig stabilisieren müssen. Das taten sie aber nicht im erwünschten Maße. Warum? Weil Warenmärkte immer Kulturmärkte sind.

Unter dem soziologischen Blickwinkel wird deutlich, dass hier kollektive Beharrungskräfte wirkten: Das schier unüberschaubare – und nicht wie im Westen über Jahrzehnte erlernte – Warenangebot verschärfte die Desorientierung in einem Land, in dem innerhalb kürzester Zeit sämtliche gesellschaftlichen Konstanten zur Disposition standen. Hier bot das unerschöpfliche Angebot keine Orientierung, sondern allenfalls Verwirrung in einer Epoche, die per se von übergreifender Verwirrung geprägt war.

Made in gdr: Erinnerung schafft vertrauen und Gefallen

Der ebenso abrupt eingetretene Vertrauensschwund in alles Westliche führte in vielen Bereichen zu einem Rückgriff auf Bewährtes: „Made in GDR“, wie zuvor die für den Export bestimmten Eigenprodukte gekennzeichnet waren, wurde posthum zu einem unsichtbaren Vertrauenssiegel auf dem Gebiet der neuen Bundesländer. Eben noch naiv gezeichnete Fossilien eines untergegangenen maroden Systems, kamen der Leistung und dem Geschmack der gerade noch verpönten Produkte eine zuvor nie geahnte Bedeutung zu: Der Osten denkt, schmeckt und kauft anders! Die Markensoziologin Annika Postler beschreibt die zugrundeliegende Dynamik folgendermaßen: „Es zeigt sich damit in der Retrospektive, dass selbst zunächst ungeliebte, aus Nutzenkalkül erworbene Produkte über die Zeit Gefallen finden und im Gebrauch Gewöhnung und Erinnerung entstehen lassen. Die gewachsene Verbindung mit dem Ding, seine Geräusche, Düfte, sein Geschmack, sein Äußeres fügen sich schließlich nahezu unverzichtbar und unausweichlich in vorhandene Dingkonstellationen ein.“ (Sobornost: Markenführung in Russland. In: Jahrbuch Markentechnik 2000/2001)

Die Wiederauferstehung der Ostprodukte, die Rückkehr der Ostmarken, ist nicht verwunderlich in Anbetracht einer über 40 Jahre lang gewachsenen, eigenständigen Konsum- und Alltagskultur. Diese Erkenntnis verdichtete sich jedoch erst einige Jahre später zum marktwirtschaftlichen Allgemeingut und wurde schließlich dreizehn Jahre nach der Wende in dem Film „Good-bye Lenin“ medial und massentauglich thematisiert.

Arnd Zschiesche erklärt im NDR-Interview die Faszination und besondere Rolle der Ostmarken als kollektive Identifikationsträger.

Der ganze NDR-Beitrag über Ostmarken: Ostprodukte im Trend: Was ist das Besondere? 

Das Standardwerk zur Waren- und Markenrevolution Ost: Erfolgsgeheimnis Ost: Survival-Strategien der besten Marken (Springer Gabler Wiesbaden)

Das umfassendste Buch zum Thema Ostmarken: Erfolgsgeheimnis Ost: Survival Strategien der besten Marken. Der vorliegende Text ist ein Auszug daraus. 

Markenzerstörung mit Megaphon: Nivea & Co. jetzt extrabillig beim Discounter

Markenzerstörung live, plakativ, öffentlichkeitswirksam und für jeden leicht nachvollziehbar: Es ist seit Monaten schwer zu übersehen, wenn man offenen Auges durch die Städte spaziert oder fährt: Lidl und Aldi überbieten sich aktuell täglich neu darin, wer von ihnen große bekannte Marken besser und noch pointierter degradieren kann. Discounter Netto steigt gerade kreativ mit ein in das Brand-Bashing. Die Tendenz ist lange schon vorhanden, gerade Lidl hat sich seit August 2016 wiederholt als Markenzerstörer Nr. 1 plakativ positioniert und solche Bilder gesendet:

Schöner die Eigenmarken nie klingeln (in der Kasse). Quelle: Screenshot Büro für Markenentwicklung.

Gute Kampagne: Eine Inhalts- und Gestaltungsstruktur durchgehalten, dazu extrem leistungsbezogen (aus Sicht von Lidl). Quelle: Foto Büro für Markenentwicklung.

 

 

 

 

 

 

 

Da die Discountermarken als ein sich gegenseitig beobachtendes System bis auf den Cent genau funktionieren, musste es über kurz oder lang zu einem direkten Schlagabtausch kommen. Denn Aldi mochte sich an der eigenen Marken- und Preis-Flanke nicht lange lumpen lassen: Aldi Nord und Aldi Süd schlugen denn auch gemeinsam zurück, von Nivea bis Coca-Cola, keine Marke war vor der Marke Aldi sicher. Die rabiate Rabattschlacht konnte losgehen.

“Aldi (Nord) feiert die Marken!” Die einzige Marke, die sich hier “abfeiern” kann, ist die Marke Aldi…

Abgesehen von der faszinierenden Tatsache, dass die Industrie mit allen Mitteln versucht, allen Kundschaften der Welt beizubringen bzw. anzutrainieren, dass Marken-Artikel keinen Mehrwert besitzen und es sich folgerichtig nicht lohnt sie zu investieren, wird sich der “normale” Mensch und Beobachter vielleicht die Frage stellen: Warum lassen Nivea & Co. all dies mit sich machen? Haben denn die großen Konzerne, die hinter einigen der Marken stecken, keinerlei Macht, das alles zu verhindern? Zerstören die sich am Ende nicht alle selbst? (Vgl. auch:  https://www.markenradar.com/viel-mehr-als-diesel-und-affen-im-abgas-vw-als-gesamtdeutscher-marken-gau/).

Die Antwort lautet wie so oft, wenn man sich in bestimmten Parallelwelten – ob Handel oder Politik – befindet: Ja, die zerstören sich selbst. Und: Ja, selbstverständlich könnten die meisten Firmen dahinter diese Selbstzerstörung stoppen. Aber:  Nein, sie können es nicht, denn dafür müssten sie mutig sein und “Nein” sagen bzw. ihre Markengrenze mit allen Mitteln durchsetzen. Dazu sind die meisten Marken nicht (mehr) in der Lage, denn sie haben zu große Angst vor den Discountermarken bzw. deren Handelsmacht.

Eine Marke ist überhaupt erst zur Marke geworden, weil sie Grenzen zu anderen Marken gezogen hat. Oberstes Selbstverständnis und Stolz der klassischen Einzelhandelsmarke ist bzw. war traditionell der Mehrpreis gegenüber anderen, z.B. Discounter-Eigenmarken. Genau diese Marken lassen sich jetzt von den Discountern als Clowns bzw. Parodien ihrer selbst in die Preiskampf-Arena führen.

Marken lernt von den Discountern! Ihr Sieg zeigt Euer (Management-) Versagen. 

Der Treppenwitz daran ist, dass jetzt die etablierten Marken, von den Discountern lernen können: Denn Marke heißt die eigene Marken-Genetik gegen alle Widerstände im Markt konsequent durchzusetzen. Wenn wir als Discounter beschließen, dass wir jetzt auch “richtige” Marken verkaufen, dann bedeutet dies, dass diese Marken zu unseren Discounterpreisen/-gesetzen verschleudert werden…    Das funktioniert ganz offensichtlich reibungslos. Markenzerstörung scheinbar ohne Widerstand der davon Betroffenen. Glückwunsch dazu. Größter Verlierer ist die Gesamtwirtschaft, denn Marken sind das Rückgrat jeder gesunden Volkswirtschaft. Nur wenn diese Marken selbst kein Rückgrat mehr besitzen, dann…

Im ARD Magazin Plusminus hat sich Dr. Arnd Zschiesche deutlich zu den verheerenden Marken-Vorgängen geäußert: “Preiskrieg bei ALDI und LIDL”.

https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/preiskrieg-aldi-und-lidl-video-100.html

“Wer einmal beim Discounter in der Schütte lag, der kommt da erfahrungsgemäß nicht mehr raus” so Markensoziologe Arnd Zschiesche bei Plusminus in der ARD zum Thema Markenzerstörung beim Discounter.

Kontakt: az@buero-fuer-markenentwicklung.com

http://www.buero-fuer-markenentwicklung.com