Warum gutes Markenmanagement “nur” Vertrauensmanagement bedeutet

Ob Eckkneipe, Globalkonzern oder regionale Baumarktkette: Jede Marke der Welt funktioniert erst ab dem Moment, wo ein gewisser Vertrauensvorschuss in ihre individuelle Leistung existiert: Ab dem Moment, wo es eine regelmäßig zahlende Kundschaft gibt, die ein Vor-Vertrauen in dieses Gartencenter oder jenen Supermarkt besitzt und aus genau diesem Grund den Ort häufiger aufsucht, um dort einzukaufen (Zur Vertiefung: “Was ist der Sinn von Marke?”). Das schöne deutsche Wort Vertrauen beinhaltet Hinweise, wie das Prinzip dahinter funktioniert: „Vertrauen“ ist nicht taufrisch aus der Wortpresse gefallen, an dem Punkt sind sich Wikipedia und sämtliche anderen Quellen einig:

„Vertrauen“ ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt (althochdeutsch: fertruen, mittelhochdeutsch: vertruwen) und geht auf das gotische trauan zurück. Das Wort „trauen“ gehört zu der Wortgruppe um „treu“ = „stark, fest, dick“. Im Griechischen steht dafür πίστις (pistis) („Glaube“), im Lateinischen fiducia („Selbstvertrauen“) oder fides („Treue“). So steht im antiken und mittelalterlichen Gebrauch Vertrauen im Spannungsfeld von Treue und Glauben (z. B. bei Demokrit, der fordert, nicht allen, sondern nur den Bewährten zu vertrauen). Für Thomas von Aquin ist Vertrauen durch Erfahrung bekräftigte Hoffnung auf Erfüllung von erwarteten Zuständen unter der Prämisse des Vertrauens auf Gott. 

Quelle: Wikipedia

Vertrauen: mehr als ein sozialer Hygienefaktor

Einige Quellen datieren die Wortexistenz bereits auf das 15. Jahrhundert. Eventuell ist daher das Wort nicht sexy – zumindest, was den Anspruch an Jugendlichkeit angeht. Jedenfalls nicht annähernd so sexy wie „Digitalstrategie“, „Industrie 4.0“ oder „Disruption“. Noch besser sind die nur für echte Profis holperfrei auszusprechenden, englischen Must-have-Management-Buzzwords wie „Digital Transformation“ und „Globalization“. Oder, momentan in Konzernen existenziell wichtig: „Big Data“, „Blockchain“ und „Disruption“ (jetzt in englischer Aussprache!). Nicht erst seit Greta T. und Fridays for Future (FFF) ist auch „Nachhaltigkeit“ bzw. „Sustainability“ als Schlagwort nicht mehr wegzudenken – leider oft nur als abstrakter „Hygiene-Faktor“ zum lässigen Abhaken im Konzern-Geschäftsbericht.

Apropos neudeutsche Begriffe und alteingesessene Konzerne: Das Wort Vertrauen, „established already in the 16th century“, bezahlt keine „Influencer“, um mehr „Awareness“ zu erhalten (ehedem: Aufmerksamkeit) – und weniger alt, pardon „outdated“ zu wirken. Es weckt als Wort für sich nur wenig „Emotions“. Dafür ist es – im Gegensatz zu allen anderen genannten Begrifflichkeiten – in öffentlichen Ansprachen wie privaten Diskussionen eines der mit Abstand meistverwendeten Worte. Ein Wort-Evergreen, der seit Ewigkeiten zum Redeprogramm jedes gewieft staatstragenden Stimmenfängers oder firmentragenden Außendienstlers gehört.

Vertrauen hilft, wenn keine Worthülse es mehr tut

Aber vor allem ist das Wort Vertrauen, im Gegensatz zu den vorweg genannten „State of the Art“-Schlagworten, eines, welches immer dann inhaltlich (!) und äußerst konkret relevant wird, wenn keine Worthülse mehr weiterhilft. Wenn alle hübschen Verbalblumen nicht fruchteten, wenn es anstrengend wird. Daher fallen große politische Entscheidungen nie bei der offiziellen Abstimmung, sondern zuvor in Hinterzimmergesprächen. Und deswegen kommen diese Fragestellungen in jeder persönlichen wie gesellschaftlichen Krise so stark und schwer zum Tragen: Wem kann ich vertrauen? Wem kann ich mich anvertrauen?

Okay. Verstanden. Aber was genau macht den Begriff inhaltlich so besonders und relevant, dass er das begehrteste Gut eines Unternehmens sein soll? Der Begriff verlangt etwas – wenn er denn mehr als eine schöne Worthülse sein soll –, dass im Tagesgeschäft zunehmend auf der Strecke bleibt zwischen Digitalhype und brutal gesteigerten Techniktempo. Etwas, was eben nicht an der Oberfläche wirkt und in Abverkaufszahlen sofort sichtbar ist: einen sehr simplen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, den viele Menschen in verantwortlichen Positionen aus den Augen verloren oder unter Kostendruck schlicht vergessen haben.

Vertrauen benötigt Vorlauf

Vertrauen entsteht als Wirkung aus einer Reihe von in sich konsistenten Handlungen, die vorab stattgefunden haben. Es entsteht nicht im luftleeren Raum und kann selbst im 21. Jahrhundert noch immer nicht befohlen oder herbeigeredet werden. Gerade dann, wenn ein uns Unbekannter besonders vehement um unser Vertrauen bittet, spüren wir meist instinktiv, dass da irgendetwas nicht stimmt – Vertrauen steht nämlich immer am Ende einer Kausalkette. Vertrauen erwächst erst in uns, wenn ein Mensch oder eben ein Unternehmen über die Zeit bewiesen hat, dass die von uns mit ihm verbundenen Eigenschaften stetig und in gleichbleibender Art und Weise erbracht werden. Die folgende Gleichung ist daher durch nichts zu ersetzen:

Vertrauen verlangt Extravagantes: Zeit

Ein gesamtstrukturelles Problem, auf welches Vertrauen nicht erst im aktuellen Jahrhundert trifft, ist die Tatsache, dass Vertrauensaufbau eine Zutat benötigt, die in einer Zeit, in der es – zumindest in der Welt der Industrienationen – nahezu alles überall und immer gibt, gern als absolute Mangelware deklariert wird: Zeit. So wie schon Rom nicht über Nacht aufgebaut wurde, so ergeht es dem Vertrauen. Mittlerweile können Häuser, Autos, Blumenerde, Impfstoffe deutlich schneller und effizienter als früher gebaut, entwickelt, geliefert und genutzt werden. Vermutlich bringt in absehbarer Zeit eine Amazon-Drohne unsere Bestellungen bereits im Stundentakt ans Fenster oder legt sie auf Wunsch inklusive individualisierter Grußkarte auf dem Balkon oder im Garten ab. Aber auch da wird es um Vertrauen gehen…

Vertrauen als soziales Naturphänomen

Nur zwei störrische Dinge wie die Natur und das soziale Naturphänomen Vertrauen haben sich in ihren Wachstumsphasen nicht den Erfordernissen der Zeit angepasst oder zumindest untergeordnet: Die alte Eiche wächst weiterhin nur wenige Millimeter pro Jahr (die jüngere schneller) und auch Vertrauen erweist sich immer noch als sperrig im zwischenmenschlichen Umgang. Für Pflanzen gibt es heute einige künstliche Wunder-Düngemittel, für Menschen und Marken (oder beides in einer Person) gibt es PR-Agenturen und eloquente Berater. Aber dennoch: Das zarte Sozialpflänzchen will oft nicht so schnell wachsen, wie es sich der Politiker für seine bevorstehende Wahl oder die Firma für ihren nächsten Produktlaunch wünscht.

Vertrautheit erweist sich weiterhin als unumgängliche Vorbedingung für die Entstehung von Vertrauen. Es ist dem modernen Menschen bis heute nicht beizubringen, einer Sache zu vertrauen, die ihm nicht vertraut erscheint. Daher gilt für jede seriöse Unternehmung: “Machen Sie Vertrauen”. Es lohnt sich (mehr als jeder Influenzer).

Vertrauen – die härteste Währung der Welt, GABAL Verlag, Offenbach, 2021.

Erhältlich ab jetzt bei GABAL und in jeder Buchhandlung: Vertrauen. Die härteste Währung der Welt. Warum Leistung und Haltung für Unternehmen essenziell sind.

Der Autor:

Dr. Arnd Zschiesche gehört zu den führenden Experten für wissenschaftliche Markenführung im deutschsprachigen Raum. Der Markensoziologe beschäftigt sich mit allen Fragen der strategischen Führung und langfristig orientierten Durchsetzung von Marken. Er ist Autor von 18 Sach- und Fachbüchern (u.a. Markenkraft im Mittelstand/Marke statt Meinung), sowie beständig als Interviewpartner in den Medien vertreten (u.a. „ARD-Markencheck“, „Plusminus“), zuletzt beim RBB Super.Markt zu “Müller Milchreis”. Arnd Zschiesche ist Mit-Gründer und seit fünfzehn Jahren Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg sowie seit neun Jahren Dozent für Brand Management an der Hochschule Luzern Wirtschaft (HSLU).

Arnd Zschiesche 2021

Was ist der Sinn von Marke?

Einzig seriöse Antwort: Vertrauen in eine Leistung schaffen.

Gebildete Menschen sehen Marke gerne kritisch. Das ist auch verständlich, zumindest wenn man dabei an einige unübersehbare Auswüchse heutiger Markenkultur denkt. So die Art und Weise wie sich einige Menschen über Marken definieren, ihr schmales Ego durch grotesk-plakative Statussymbole verbreitern, ein soziales Phänomen, welches sich augenscheinlich nicht nach dem Schulhof vollständig verwächst… Aber dieser Bereich betrifft insgesamt nur sehr wenige Marken im Premium- und Luxussegment. Dabei ist der eigentliche Sinn und der Grund für die Entstehung von einer Marke oftmals zutiefst ethisch und nicht per se kapitalistisch geprägt: Marke will Vertrauen in eine (neue) Leistung schaffen bzw. vertiefen. Vornehm aber treffend formuliert:

Eine Marke bewirbt sich mit ihrem Angebot und ihrem Auftritt um das Vertrauen der Menschen in eine ehrliche Leistung. 

Marke ist somit ein Angebot, für das alle Menschen, für die es relevant und hilfreich ist, ausgesprochen dankbar sein sollten (und sie sind es auch oftmals). Denn es erleichtert, perfektioniert, verschönert oder ermöglicht überhaupt erst ihren privaten Alltag. Marken orientieren uns und lösen mit ihren Leistungen jeden Tag diverse Herausforderungen für uns. Manche tun dies schon sehr lange oder sind längst zu einer persönlichen Gewohnheit im Alltag geworden, so dass wir ihre Leistung im Alltag gar nicht mehr als solche wahrnehmen.

Jede starke marke zeichnet starkes Vor-vertrauen aus

Die Personen, die eine Marke beruflich betrifft – Menschen, die eine eingeführte, bereits mit Vor-Vertrauen ausgestattete Marke verantwortlich lenken dürfen –, sollten diese Dankbarkeit ebenfalls empfinden. Allein das mühsam aufgebaute Vertrauen der Kundschaft in die Marke finanziert sowohl ihren ganz persönlich-privaten Wohlstand wie auch den des ganzen Unternehmens und aller Mitarbeiter. Demut klingt als Begriff eventuell etwas altmodisch und ist sicher kein Hipster-Wort, es ist aber für gute, d.h. seriöse Markenarbeit absolut unerlässlich: Ich arbeite hier jeden Tag mit einer sozialen Tatsache, die im Fall von Traditionsmarken viele Tausend andere Menschen lange vor mir, meist mit einiger körperlicher und Hirnarbeit, mühevoll aufgebaut haben. Diese Vorarbeit hat erst zu dem aktuellen Vertrauensstatus geführt, von dem ich heute profitiere. Sie kann also nicht völlig sinnlos oder gar dumm gewesen sein. Dies sollten die Verantwortlichen im Unternehmen bei jeder strategischen Überlegung im 21. Jahrhundert immer im Hinterkopf behalten.

Ein Unternehmen, welches es erfolgreich – meist über Jahre oder Jahrzehnte, manche über Jahrhunderte – vermocht hat, sich ein starkes Vor-Vertrauen im Markt zu erarbeiten, verdient für diese Leistung hohen Respekt. Respekt, den manche in der Öffentlichkeit stehende Manager häufig vermissen lassen, wenn man sich ihre Äußerungen, ihren Umgang und ihre Entscheidungen bezüglich ihrer Marke anschaut. Jede Marke erfordert einen hochsensiblen Umgang mit ihrem ebenso hochsensiblen sozialen Inhalt und dem entscheidenden Unternehmenswert: (Öffentliches) Vertrauen – nichts anderes bedeutet die Existenz eines positiven Marken-Vorurteils.

nur vertrauen erschafft langfristige (mehr-)werte

Wir möchten an dieser Stelle, bei Verwendung des zentralen Begriffes „Vertrauen“, eines explizit hinzufügen: Das in diesem Blog vorgestellte Verständnis von Marke ist ein ausschließlich langfristig orientiertes. Der Aufbau einer „echten“ Marke bedeutet, dass ein Unternehmen es sich zum Ziel gesetzt hat, langfristig einen substanziellen wirtschaftlichen Mehrwert zu erschaffen. Dies gelingt nur über Anstand in Wort und Tat. Es geht darum, eine Unternehmung generationsübergreifend aufzustellen, markensoziologisch formuliert „vererbungsfähig“ zu machen. Viele Marken, die bei der Frage nach einer „richtigen“ Marke spontan genannt werden, stammen aus Unternehmen, die seit langer Zeit existieren und diesen Vererbungsvorgang geschafft haben. Wer den schnellen Euro machen und zügig weiterziehen will, für den ist dieser Weg falsch.

Und es macht ökonomisch nur so Sinn: Für den Soziologen Niklas Luhmann ist Vertrauen das maßgebliche Mittel zur Reduktion sozialer Komplexität. Der Wirtschaftswissenschaftler Carl Christian von Weizsäcker erklärt, dass „Vertrauen ein sozialer Mechanismus zur Herabsetzung von Kooperationskosten“[1] ist. Zwei Aussagen, die eines verdeutlichen:

Ohne Vertrauen gibt es keine effizient funktionierenden sozialen Systeme.

Ob der Marken-Zweck die globale Gewinnmaximierung des Unternehmens oder der Stopp des globalen Klimawandels ist: Auch im Zeitalter der blitzschnellen elektronischen Kommunikation zwischen Tokio und Rotterdam können Gruppen von Menschen nur miteinander arbeiten und erfolgreich ihre Ziele erreichen, wenn ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen gewährleistet ist. Der einzige Existenzgrund von Kundschaften ist ihr geteiltes (Vor-)Vertrauen in eine bestimmte Leistung. Kundschaften versammeln sich dauerhaft um ehrliche Leistungen – Aufgabe einer Marke ist es, diese Leistung immer wieder in gewohnter Qualität zur Verfügung zu stellen. Marke soll Vertrauen in eine Leistung schaffen. Nur so funktioniert der Vertrauenstransfer problemlos. Nur so funktionieren starke Marken.

[1] Weizsäcker, Carl Christian von: Ordnung und Chaos in der Wirtschaft. In: Gerok, Wolfgang (Hrsg.): Chaos und Ordnung in der belebten Natur, Freiburg, 1988, S. 46.

Hintergrund zum text:

Der vorliegende Text ist leicht abgeändert und gekürzt worden. Der vollständige Originaltext befindet sich im Buch “Marke statt Meinung” von Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello, welches im GABAL Verlag erschienen ist. Darin beantworten die Gründer und Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg die 50 Fragen zum Thema Marke, die ihnen in über 20 Jahren in der Markenberatung und an der Hochschule immer wieder gestellt wurden. Das Buch selbst wurde auf dem Markenradar bereits vorgestellt: Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. Weitere Bücher der zwei Autoren zum Thema wissenschaftliche Markenführung gibt es hier. 

Die Markensoziologen Dr. Arnd Zschiesche und Professor Dr. Oliver Errichiello

Kontaktieren Sie bei Fragen gerne Dr. Arnd Zschiesche per E-Mail: az@buero-fuer-markenentwicklung.com

Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. GABAL Verlag.

Zwischen CSR und Nachhaltigkeit – Grüne Markenführung als Strategie

1. Bioladen Deutschlands: Peace Food in Berlin im Jahre 1971. Photo: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. 0159684

Grüne Begriffs- und Artenvielfalt

Unter dem Begriff „Grün“ scheint heute ein Vielerlei unterschiedlicher Vorstellungen zu existieren. Die Farbe steht diffus für: Gut zur Umwelt, zu den Pflanzen und Tieren. Und: Darauf bedacht, die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Was genau das impliziert, bleibt strittig. Sicher, auch große Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten „grüne Markenpolitik“ betrieben und maßgeblich zur verstärkten Durchsetzung umwelt- und menschenfreundlicher Technologien und Herstellungsmethoden beigetragen. Und doch offenbart eine zuvor unternommene Zusammenstellung äußerst unterschiedlicher „grüner“ Firmen die große Spannbreite nachhaltiger Markenpolitik. Das Problem: Wenn heute mit grün, ökologisch oder nachhaltig so viel Verschiedenes ausgedrückt wird, dann resultiert daraus im Effekt eben kein klares öffentliches Bild und keine eindeutige kollektive Vorstellung über den Sachverhalt Grün. Dies ist umso erstaunlicher, weil grünes Gedankengut inzwischen in der gern herbeizitierten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist und zum „guten Ton“ gehört. Oftmals bleibt es langfristig auch nur beim „guten Ton“, oder wie es ein Geschäftsführer in einer Klausurtagung formulierte: „Je dicker der Nachhaltigkeitsbericht, desto mehr Dreck dahinter …“. Klar ist: Nachhaltigkeitsberichte sind immer Legitimationsschriften. Die Geschäftsführerin eines Milliardenunternehmens formulierte es einmal so: „Umweltschutz ist heute ein Hygienefaktor …“. Grüne Markenführung als Unternehmensstrategie, als ein selbstverständlicher Bestandteil der Markenführung ist etwas anderes…

Exakt die eben beschriebene Vielschichtigkeit der Vorstellungen ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen führt die hohe Bandbreite der Vorstellungen über eine grüne Welt dazu, dass Unternehmen diesbezüglich nicht mehr tun können, was sie wollen. Die umweltgesetzlichen Regelungen der letzten 30 Jahre lassen heutzutage zumindest in Europa offiziell kaum noch Schlupflöcher für umweltschädliches Verhalten. Es ist zu einem feststellbaren institutionalisierten Kulturwandel gekommen. Umweltwirkungen sind eben nicht mehr Privat- oder Unternehmenssache, sondern müssen sich heute auch mit den sensibel geschärften Vorstellungen der Kundschaften und der Öffentlichkeit auseinandersetzen – manchmal sogar mit ungerechtfertigten Öko-Hysterien: Selbst einige der von den Medien als bösartig identifizierten Unternehmen können dem Beobachter bei einer ausufernden „Empörungswelle“ tatsächlich leidtun. Psychologisch ist dies nur noch mit einer kollektiven Verschiebung eines individuellen schlechten Gewissens an einen externen Akteur zu erklären.

Wir sind jetzt alle ein bisschen grün – weil es so “schön” gefragt ist.

Zudem macht die individuelle Bandbreite innerhalb der Vorstellungen deutlich, dass aktuell nahezu jeder von sich behaupten kann, er betreibe ein „grünes Unternehmen“. Vielleicht schon deshalb, weil es täglich Biogemüse in der Betriebskantine gibt. Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte hat offenbart, wie sehr „grüne Gedanken“ genutzt werden, um Marktvorteile zu erringen – ohne aber tatsächlich „grün“ zu agieren. In seinem kurz vor Offenlegung des Skandals erschienenen Nachhaltigkeitsbericht, schrieb VW als Zielsetzung, bis 2018 der nachhaltigste Automobilhersteller der Welt werden zu wollen. Mit der Konsequenz, das innerhalb von Generationen mühsam erarbeitete Markenvertrauen verantwortungslos aufs Spiel zu setzen. Bei asiatischen Zulieferern von europäischen Unternehmen ist es Mode, sich ein „Eco“ vor den Namen zu schreiben, das Logo grün zu färben oder zumindest ein possierliches Tierchen in die werbliche Gestaltung zu integrieren. Es ist ihnen bekannt: Das mag der europäische Einkäufer. Was man in Europa als „Greenwashing“ bezeichnet, wissen findige asiatische Unternehmer sehr gut auf ihre eigene umsatzfördernde Weise umzusetzen. Kurzum: Grün steht heute für alles und ist somit eine Nullaussage.

Da darf lautes Lachen erlaubt sein, wenn McDonald’s urplötzlich sein seit 1968 rot unterlegtes M-Logo auf grün umschaltet. Auf den Plastiktüten der Firma Tengelmann steht plötzlich „I’m green“, H&M-Manager „produzieren“ mit Selbstverständlichkeit Stanzsätze wie „Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Wesen von H&M“ und bieten begleitend dazu ihre in Bezug auf PR perfekt ausgeschlachtete „Conscious Exclusive Collection“ in 150 der 3500 H&M-Filialen an … ein Tröpfchen grün. Ähnliches unternimmt der öffentlich stark ob seiner „Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik“ gebeutelte Konzern KiK: Neben Nachhaltigkeits- und Sustainability-Berichten wird ohne Ironie auf den CO2-neutralen Versand der Firmenpost hingewiesen. Auch die Umrüstung von 50 Filialen in sogenannte „Green Buildings“ (von insgesamt 3200 Filialen) soll öffentlichkeitswirksam verdeutlichen, dass die Marke einen massiven Veränderungsprozess einleitet. Gerne mag man diese Form der Argumentation als dubiose Spitzfindigkeiten abtun, aber die Diskussion um genverändertes Saatgut macht die Zielkonflikte deutlich: Ist es „grün“, wenn genverändertes Saatgut resistenter gegenüber Krankheiten wird, was zu einer Reduktion von beispielsweise Fungiziden in der Landwirtschaft führen würde?

Grünes Wunschkonzert?

Vermeintlich klar ist unter dem Label „grün“ demnach nur sehr wenig klar. Und jenes, was scheinbar klar ist, unterliegt einem beeindruckenden Vergessensdruck. Der Soziologe Joachim Radkau macht darauf aufmerksam: „Die Geschichte der Öko-Ära ist nicht nur die Geschichte einer neuen Aufklärung, nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Vergessensgeschichte. Viele Namen, die einst die Zukunft zu verkörpern schienen, sind heute selbst innerhalb der Öko-Szene unbekannt; zahllose Bücher, die für kurze Zeit die Menschen bewegten, sind längst im Ramsch gelandet“ (Radkau 2011, S. 614).

Geldverdienen als grünes Problem

Das gesellschaftliche Spannungsfeld scheint eigentlich geklärt und ist Teil jeder ministerialen Sonntagsrede: Ökonomie und Ökologie müssen und dürfen sich in Zeiten spürbarer Umweltschädigungen nicht ausschließen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch sind gerade bei umweltbewegten Menschen immer noch Vorbehalte spürbar, sofern ein Unternehmen wirtschaftlich prosperiert, dabei aber gleichzeitig grüne Aktivitäten offensiv an die Öffentlichkeit kommuniziert. Diese Erfahrung macht auch Stefan Schulze-Hausmann. In einem Beitrag führt der Vorsitzende der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis aus:
“Wer mit Nachhaltigkeit Geld verdient, ist manchem Vertreter der reinen Lehre suspekt. Wer mit Nachhaltigkeit richtig viel Geld verdient, ist außerdem noch all jenen ein Dorn im Auge, die das auch wollen, aber nicht so schnell oder so gut sind. Die Unternehmen, denen Nachhaltigkeitsthemen gar nicht oder nur bedingt wichtig sind, haben keinerlei Interesse, Leistungen anzuerkennen, die sie selbst rückständig erscheinen lassen. Und dann sind da noch die Ressentiments der aktiven Kleinen gegen die aktiven Großen, die keinerlei Wertschätzung für deren – im Verhältnis zur Größe vermeintlich überschaubares Engagement – aufbringen können. Die Großen wiederum ignorieren die ‚minimalen‘ Schritte der Kleinen” (Schulze-Hausmann 2013, S. 46).

Grünes Vertrauen

Eine wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit dem Thema „Grüne Markenführung“ steht vor der Herausforderung, die eigentlichen sozialen Zusammenhänge herauszuarbeiten, die aus einer Ware oder Dienstleistung nicht nur eine Marke, sondern in diesem besonderen Falle eine grüne Marke machen. Grüne Marken sind eben nicht Ergebnis eines bestimmten grafischen Erscheinungsbildes, einer CI (Corporate Identity) oder Werbung (Nur Werber interessieren sich für Werbung). Sie entspringen nicht einer behutsam formulierten und demokratisch entwickelten Unternehmensphilosophie (interessiert niemanden, nicht einmal die relevante Kundschaft) oder einer durchdachten Kommunikationsstrategie. Sie sind Ergebnis eines sozialen Prozesses, der am Ende sicherstellt, dass Menschen kollektives Vertrauen zu einem bestimmten Namen entwickeln. Dazu muss klargestellt werden, was Menschen bewegt, einem Angebot langfristig oder gar „blind“ ihr Vertrauen zu schenken. In aller Deutlichkeit: Vertrauen entsteht in Warenmärkten nicht „irgendwie“ und nicht über die Verdeutlichung von „Vertrauen“ im Sinne schöner Bilder. Vertrauen ist ein normativer Verpflichtungszusammenhang: Es entsteht nur, wenn ein Unternehmen zusageverlässlich handelt und die prognostizierten Leistungen immer wieder konsequent einlöst. So simpel, so schwer.

Auszug aus dem Buch: Grüne Markenführung. Oliver Errichiello/Arnd Zschiesche, Springer Gabler, 2017, Wiesbaden.

Grüne Markenführung. Erfolgsfaktoren und Instrumente nachhaltiger Brands. Springer Gabler.

Weiterführende Artikel im Markenradar:

Grüne Marken – Nachhaltigkeit und Markenführung.

TEMMA – Nachhaltige Markenführung?