Marke ist Wiedererkennung – nie Retro

Nicht nur Musikstile wie Soul oder Swing feiern dank Künstlern wie Amy Winehouse oder Robbie Williams regelmäßig Revivals. Architektur, Kunst, Kleidung, Literatur, nirgendwo geht es ohne Anleihen aus der Vergangenheit. Airlines bemalen ihre Flugzeuge im Retrolook, auf einmal gibt es irgendwo wieder afri cola, Raider oder tritop-Sirup. Gerne wird dies unter Stichworten wie neue Nostalgiewelle oder Retrotrend abgetan, es steckt aber oft sehr viel mehr dahinter.

Der Automarkt beweist seit den späten 90ern: Vergangenheit ist in und sorgt eventuell für steigende Verkaufszahlen. Ein BMW Mini Cooper, ein Fiat 500, der Ford ThunderbirdChevrolet HHRNew Beetle oder Scirocco von VW, oder Jaguar S-Type (bis 2007). Von der Verwendung des berühmten Namens bis hin zum 1:1 Übertrag der Formensprache in die Neuzeit, die Vergangenheit wird gerne zitiert, um für Schwung in den Bilanzen zu sorgen. Soziologisch spannend ist, dass ein solcher Vorgang auch stattfindet, wenn dies ausdrücklich von der produzierenden Marke nicht erwünscht ist, wie beim Citroen Pluriel. Während die Marke Citroen aus Unkenntnis über soziale Vorgänge (anders ist es nicht zu erklären) lange Zeit versucht hat, die Ente als eine rostige, längst vergessene Laune der Firmengeschichte hinzustellen, die so niemals mehr vorkommen wird, hat jeder Journalist und jeder Käufer im Pluriel einen Nachfolger des 2CV gesehen. Meist wurde der “witzige” Test Ente gegen Pluriel direkt mitgeliefert, leider konnte der für die Ente entscheidende Erfolgsbaustein Federungskomfort von dem neuen Modell nicht eingelöst werden, obwohl es sonst in allen technischen Belangen dem rustikalen Kultfahrzeug weit überlegen ist, z.B.Plural von Ente? Pluriel. (AutoBild 18.07.2003)

Citroen Pluriel. Quelle: Wikipedia

Einige der zuvor aufgezählten Modelle haben geradezu eine Kauf-Euphorie bei den Kunden geweckt: Wegen der hohen Nachfrage in Italien nach dem Produktionsstart 2007 dauerte es bis der Nachfolger des Fiat Nuova 500 (1957 bis 1975) überhaupt in Deutschland lieferbar war. Jetzt vermehrt sich der kugelige italienische Kleinwagen kräftig auf den Straßen eher besser betuchter deutscher Großstadtviertel, denn ein finanzielles Schnäppchen ist der zum Auto des Jahres 2008 gekürte Untersatz nicht mehr. Dafür das einzige Fiat-Fahrzeug, bei dem sich der Fiat-Händler nicht zu hohen Preisnachlässen zwingen lässt. Die Marke hat es gerichtet – wie immer. Mit dem Nuova Panda(!) im Jahr 2003 und dem Grande Punto(!) 2005 konnte die zuvor am Boden liegende Marke Ende 2005 erstmals nach Jahren wieder einen Betriebsgewinn vorweisen. Dieser Vorgang ist aber nicht Retro, sondern belegt, was passiert, wenn sich eine Marke auf sich selbst besinnt: Weder Nuovo Panda noch Nuova 500 sind klapprige unsichere Fahrzeuge, sie besitzen neueste Technik und sind den automobilen Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gewachsen. Und sie sind fiattypische wendige, pfiffige Kleinwagen, für welche die Marke sich seit 1899 eine Kernkompetenz aufgebaut hat. Das bezeichnet die Markensoziologie als Selbstähnlichkeit, hier wird nicht rein rückwärts orientiert ein Marketinggag abgefeiert , hier werden mit Leistungsernst Fahrzeuge konstruiert, die auf die lange Leistungsgeschichte der Marke verweisen bzw. sie fortführen. Ein ganz natürlicher Vorgang: Niemand, der irgendein Geschäft seit x-Jahren mit Erfolg betreibt, würde dies in seiner Kommunikation verschweigen – es sei denn, er möchte nichts mehr verkaufen. Das Fahrzeug selbst ist nach wie vor das allesentscheidende Kommunikationsmedium jeder Automarke: Egal was die Werbung aktuell verspricht, das Auto muss später täglich leisten.

Fiat Nuova 500. Quelle: Wikipedia/Urheber: Rudolf Stricker

Im Klassiker des Kommunikationsexperten Marshall McLuhan “Das Medium ist die Botschaft” steht, dass die Revitalisierung von Mythen einfacher ist, als einen neuen Mythos aufzubauen. Markensoziologisch übersetzt bedeutet dies, dass eine Marke mit Geschichte diese Geschichte nicht abschneiden darf, denn damit zerstört sie ihre mühsam aufgebauten Positiven Vorurteile und spaltet ihre Stammkundschaft ab. Eine Binsenweisheit, die tagtäglich nicht beachtet wird. Retro dagegen ist markentechnisch eine Wunderstruktur – eine “neue” Mode, die aber rückwärts gewendet ist. Eine Wunderstruktur verbindet zwei Dinge, die eigentlich unvereinbar sind. Wunderstrukturen besitzen eine hohe Anziehungskraft, weil Menschen sich über sie austauschen, von ihnen fasziniert sind. Dies erklärt die Erfolge vieler sogenannter Retroprodukte – wenn sie gut gemacht sind. Nachteil: Ein reines Retroprodukt kann kurzfristig für Aufmerksamkeit und Absatz sorgen, Selbstähnlichkeit bedeutet im Gegensatz dazu kein rein rückwärtsgewandtes Produkt, sondern ein nagelneues Produkt, welches seine Vorgeschichte nicht verschweigt – und damit “seine” Kundschaft zum erneuten Kauf anregt und im besten Falle Neukundschaft anlockt, weil nur eine Marke, die geschlossen d.h. selbstähnlich auftritt, langfristig Neukundschaft anziehen und binden kann.

Der Autobauer Rolls-Royce beschreibt auf der Website, was für die Konstruktion des neuen Rolls-Royce Ghost (2009) entscheidend war: “The classic Rolls-Royce proportions are all present and correct: the 2:1 ratio of the height of the wheels to the height of the body; the long wheelbase and bonnet; the short overhang at the front and long overhang at the rear.” Der Exterior Designer Andreas Thurner dazu wird zitiert: “…it looks natural, not styled”. Its powerful presence leaves no doubt that it’s cut from the same cloth as the rest of the marque – exactly what we set out to achieve.” Das ist destillierte Markenkraft bis ins Detail und so funktioniert Selbstähnlichkeit – für jede Marke.

Rolls-Royce Ghost

Rolls-Royce Ghost. Quelle: Wikipedia/Urheber: Thomas Doerfer

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