Forsch und nichts dahinter – Wie sich die Markenberatungsbranche selbst zerlegt

Die eigentliche Leistung der Markenberatungsbranche in den vergangenen Jahren ist, dass es sie überhaupt noch gibt. Wer sich ernsthaft mit dem Thema Markenmanagement beschäftigt, dem fällt nicht nur auf, dass jeder Mensch, der jemals einen Supermarkt besucht hat von sich selbst behauptet, er sei Markenexperte. Meist war er einige Jahre „Brand Manager“ oder „Brand Strategist“  bei einem „namenhaften Markenartikler“ und wurde irgendwann mit einer saftigen Abfindung nach Hause geschickt. Um seine Expertise in Zeiten einer unumstösslichen Wissenschaftshörigkeit zu manifestieren, zaubert man sich schnell noch ein „Analyseinstrument“, ein „Markenwerkzeug“, ein „Tool“ aus den herumliegenden BWL-Büchern (oder aber man „kooperiert“ mit einer anerkannten amerikanischen Marketing-Größe) und geriert sich so, als habe man nun tatsächlich DAS Programm entdeckt, welches es erlaubt, eine Marke absolut wissenschaftlich und erfolgreich zu führen. Mumpitz.

Das ganze Gebaren der eloquenten Markenberater auf den Vertriebs- und Marketingkongressen in Deutschland, Österreich und der Schweiz erinnert an die Quacksalber, die im 16. und 17. Jahrhundert über Land fuhren und ihre wundertätigen Arzneien anpriesen: Viel Lärm, viel Hoffnung und zum Schluss ein Schlückchen Zuckerwasser. Was soll denn tatsächlich dabei herauskommen, wenn man allein in der Wissenschaft (Stand 2013) von z. Zt. 88 verschiedenen Markenführungsinstrumenten ausgeht (allein McKinsey verfügt über fünf!)? Wie kann sich ein Experte im Jahr 2016 noch hinstellen und ohne dafür abgeführt zu werden behaupten, man habe nun endlich „die Methode“ gefunden? Es scheint ja zu funktionieren, denn die Zahl der Marken-Modelle nimmt pro Jahr nicht ab, sondern zu. Was passiert hier?

  1. Individualisierung: Warum sollte es in der angewandten Wissenschaft anders zugehen, als in der Warenwelt? Jedem Kunden sein Modell. Wir wollen schließlich keine Standards und jede Marke ist doch ein Einzelfall. Wirklich?
  2. Unsicherheit: Die Marke als scheinbarer „soft-fact“ ist dem zahlengläubigen und zahlensozialisierten BWLer eigentlich äußerst unheimlich. Wie fasst man dieses „Ding“? Wer unsicher ist, dem kann man mit ein paar faktenreichen, pseudowissenschaftlichen Erklärungen etwas ganz entscheidendes bieten: Sicherheit! Endlich kann ich dem CEO meine Entscheidungen anhand von klaren Fakten plausibel erklären.
  3. Zeitgeistigkeit: Mal unter uns: Was bringt es mir zu wissen, dass das limbische System ganz nervös unter dem CT vor sich hin blinkt, wenn ich entweder verliebt bin oder aber meine Lieblingschokoladenmarke sehe? Erst einmal relativ wenig. Ich könnte daraus schließen, dass ich meine Marke so aufbauen und führen muss wie eine gelungene Liebesbeziehung – so klar, so gut, so schlecht. Wir alle wissen, was aus den meisten Liebesbeziehungen wird: Grauer Alltag. Das Analysieren von Hirnarealen entspricht einem Zeitgeist, der nach „der Zahl“ als Orientierungsmaßstab nunmehr das menschliche Denken in seiner wissenschaftlichen Dynamik zu ergründen sucht. Leuchtende Hirnareale beim Genuss des Lieblingstees sind spannend, aber offenbaren sie mir die „inneren Gesetze“ meiner Marke?

Was nun? Markenberatung vergessen? Größtenteils ja. Nicht umsonst installieren die großen Werbeagenturen, ihre „strategische Planung“ zwar inzwischen fest in den Kreationsprozess, aber alle wissen: Hier wird kein Geld verdient. Man macht es, weil man muss (Gründe siehe oben).

Man sollte Markenberatung kritisch hinterfragen, wenn ihre Analyse nicht aus der Marke selbst heraus erfolgt, sondern ein schablonenhaftes, fremdes Modell der Marke übergestülpt wird. Marken sind ausnahmslos einmalig. Ihre Begründung liegt stets in ihnen selbst. Um also eine Marke zu verstehen, muss man sich zuerst mit ihr selbst, mit ihrer Leistungshistorie befassen  und zwar en detail. Eine Marke ist ein positives Vorurteil, kollektiv und gegen einzelne Erfahrungen und Argumente ziemlich resistent. Normalerweise kommt man durch Befragung von Individuen kaum an die dahinter liegenden Vorstellungen heran. Wer von einem Interviewer gefragt wird, präsentiert sich doch immer als kritisch urteilendes Wesen, nicht als jemand, der sich von Vorurteilen leiten lässt. Wer sich also Marken erforscht, benötigt nicht-reaktive Methoden, er muss sich eingängig mit der Leistungshistorie befassen, die typischen Merkmalen über die Zeit herausarbeiten, die das positive Vorurteil begründen. Das ist ziemlich harte Arbeit und manche behaupten sogar es sei “unspektakulär”, aber Marke ist als soziales Phänomen den naturgesetzlichen Regeln der Massebildung unterworfen. Da gibt es keine Überraschungen und kreativen Würfe … Das oberste Gesetz der Markenführung ist, sich das Gesetz des Handelns nicht von Außen aufzwingen zu lassen. Das gilt für das Tagesgeschäft und für die Markenberatung.

Nachtrag:
Der Boom in Sachen „Markenberatung“ nimmt weiterhin kein Ende. Beschaut man sich die Angebote von selbsternannten Markenberatern im Internet, so hat man den Eindruck, dass jede Woche zwei bis drei neue „Experten“ den Markt bereichern wollen. Was ist der Hintergrund? Markenführung ist auch im Jahre 2016 weiterhin ein Bereich indem es scheinbar keine faktisch nachvollziehbaren Sicherheiten gibt – zumindest scheint dies auf den ersten Blick so. Die einzigen faktischen Grundlagen bilden die Marktforschung (jetzt auch echtzeit-internetbasiert) sowie das neumodische Neuromarketing (vgl. auch „Perfektion ist Tod“ von Oliver Errichiello in “Markenartikel 05/2016”), Disziplinen, die von jedem Laien interpretiert werden dürfen. Es gilt aber auch hier: Marke ist eine Wissenschaft, die sich kausal herleiten lassen muss. Schnelle Lösungen scheinen zwar der typischen Verweildauer in den Unternehmen von heutigen Managern angepasst, aber sie stärken die Marke niemals substantiell. Vor diesem Hintergrund wird es umso wichtiger, der um sich greifenden Oberflächlichkeit im Brand-Management eine wissenschaftliche, eine markensoziologische Methodik gegenüberzusetzen, wenn man langfristig den Erfolg eines Unternehmens absichern möchte. Schell kann jeder, aber ein funktionierende Markensystem aufzubauen und zu pflegen sollte auf Kenntnissen der Systemverdichtung beruhen.

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